Ausgabe 4/2020, Oktober

WIdO-Themen

Häusliche Pflege: Die Belastungen sind unterschiedlich

Wer einen Angehörigen zu Hause pflegt, muss dafür nicht nur viel Zeit aufbringen. Rund ein Viertel der Pflegenden ist auch psychisch stark belastet. Die finanziellen Eigenbeteiligungen hingegen sind, verglichen mit der stationären Pflege, deutlich geringer. Das sind Ergebnisse einer Befragung des  Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Pro Tag werden im Mittel 8,6 Stunden für die häusliche Pflege aufgebracht. Das geht aus einer Befragung von rund 1.100 Haushalten für den Pflege-Report 2020 hervor. Den Großteil davon, 6,1 Stunden, erbringt die Hauptpflegeperson, weitere 1,5 Stunden Freunde, Verwandte oder andere Personen. Nur rund eine Stunde täglich entfällt auf Sachleistungen der Pflegeversicherung (etwa Pflegedienst und Tagespflege) oder privat finanzierte Hilfen. Allerdings verber- gen sich hinter den Durchschnittswerten teils große Unterschiede. Lebt die Hauptpflegeperson in einem Haushalt mit der pflegebedürftigen Person, beträgt die tägliche Pflegezeit im Mittel fast neun Stunden, bei Pflegebedürftigen mit Demenz oder ab Pflegegrad 3 jeweils rund acht Stunden.

Nur ein Viertel der privaten Haushalte mit häuslicher Pflege muss finanzielle Eigenleistungen tragen. Diese liegen im Durchschnitt bei rund 250 Euro im Monat. Haushalte, die Sachleistungen der Pflegeversicherung nutzen, sind zu knapp 40 Prozent von Eigenanteilen betroffen. Sie zahlen im Schnitt etwa 200 Euro monatlich. Nur fünf Prozent der Befragten bezahlen zusätzliche private Hilfen. Wie beim zeitlichen Pflegeaufwand gibt es aber auch hier deutliche Unterschiede zulasten von Haushalten, in denen Menschen mit Demenz oder höherem Pflegegrad gepflegt werden.

Neben zeitlichen und finanziellen Aufwendungen wurde auch die subjektive Belastung der Pflegenden ermittelt. Auf Basis der Häuslichen Pflege-Skala (HPS), die mithilfe von Fragen zur körperlichen Erschöpfung und Lebenszufriedenheit die psychische Belastung misst, ergab sich dabei für jede vierte Hauptpflegeperson eine hohe subjektive Belastung.

Insgesamt zeichnet die Befragung ein heterogenes Bild der ambulanten Pflege zu Hause. Das spricht dafür, die Leistungen der Pflegeversicherung noch stärker an den spezifischen Bedarfslagen der Pflegehaushalte zu orientieren. 

Neben der Situation in der ambulanten Pflege befasst sich der Pflege-Report 2020 mit zentralen Reformbereichen der Leistungs-, Steuerungs- und Finanzierungsstrukturen. Ausgewiesene Fachleute beleuchten dabei die Ursachen für bestehenden Handlungsbedarf, analysieren spezielle Herausforderungen und zeigen Lösungswege auf. Der Pflege-Report 2020 gibt dezidierte Hinweise, um die Pfle- geversicherung ein Vierteljahrhundert nach ihrer Einführung zukunftsfest zu machen

Dr. Miriam Räker, Mitarbeiterin im Forschungsbereich
Gesundheitspolitik/Systemanalysen im WIdO

„Bei Pflegebedürftigen mit Demenz und hohem Pflegegrad sind die pflegenden Angehörigen besonders belastet.“

Dr. Miriam Räker, Mitarbeiterin im Forschungsbereich Gesundheitspolitik/Systemanalysen im WIdO

Arzneimittelpreise: Millionengrenze für einzelne Packung überschritten

Mit einem Anstieg von 5,7 Prozent auf 46,7 Milliarden Euro verstärkt sich 2019 der Trend zu höheren Umsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für ambulant verordnete Arzneimittel. Die Anzahl der Verordnungen stieg dabei nur geringfügig.

Die Preise für neuere patentgeschützte Arzneimittel entwickeln eine eigene Dynamik und führen zu hohen Kosten. Das belegt der GKV-Arzneimittelmarkt-Bericht 2020 des WIdO. So kostete im Jahr 2019 ein Arzneimittel, das in den drei Jahren zuvor auf den Markt gekommen war, mit durchschnittlich knapp 14.000 Euro rund dreimal so viel wie ein herkömmliches Patentarzneimittel. Mittlerweile sind sechsstellige Packungspreise für Neueinführungen an der Tagesordnung, die Millionengrenze wurde in diesem Jahr erstmals mit den Arzneimitteln Zynteglo und Zolgensma überschritten.

Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen, sogenannte Orphan Drugs, kosten besonders viel. Mit nur 0,05 Prozent aller Tagesdosen (DDD) im Jahr 2019 sind sie für knapp zehn Prozent der ausgegebenen Nettokosten verantwortlich, das sind 18,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Eine Tagesdosis eines Orphan-Arzneimittels kostete dabei durchschnittlich 223,13 Euro, erheblich mehr als der durchschnittliche Preis eines Präparats im Gesamtmarkt (1,00 Euro) oder im Patentmarkt (7,36 Euro). Da das Indikationsspektrum für mehrere Orphan-Drugs mit Blockbusterstatus erweitert wurde und die Behandlungsmöglichkeiten, speziell in der Krebstherapie, zunehmen, wäre es aus Sicht der Autorinnen und Autoren an der Zeit, die Kriterien für öffentliche Förderungen, die die Hersteller dieser Arzneimittel genießen, wie auch die Sonderstellung im Rahmen der frühen Nutzenbewertung zu hinterfragen. Alternativ wäre die Anerkennung als Orphan Drug neu zu definieren.

Der GKV-Arzneimittelmarkt-Bericht 2020 gibt einen umfangreichen Einblick in das Verordnungsgeschehen des Jahres 2019. Er beleuchtet die Hintergründe aktueller Marktentwicklungen auf Gesamtmarktebene und auf Ebene einzelner Segmente. Weitere Themen sind die Liefersicherheit von Arzneimitteln, die Auswirkungen der Rabattverträge und die Marktdaten pharmazeutischer Hersteller. Der Bericht steht auf der WIdO-Webseite zum kostenfreien Download bereit.

Fehlzeiten-Report 2020: Gerechtigkeit am Arbeitsplatz

„Gerechtigkeit und Gesundheit“ ist das Thema des Fehlzeiten-Reports 2020. In 20 Fachbeiträgen geht es unter anderem darum, wie sich Arbeit gerecht gestalten lässt und welche Anforderungen Beschäftigte an eine gerechte Führungskraft haben.

Eine repräsentative Erwerbstätigenbefragung des WIdO belegt einen signifikanten Zusammenhang zwischen subjektiv wahrgenommener Unternehmensgerechtigkeit und Indikatoren wie emotionalen Beschwerden, psychosomatischen Beschwerden und Fehlzeiten. Der Report zeigt auch, welchen Beitrag hier das Betriebliche Gesundheitsmanagement leisten kann. Das Kapitel „Daten und Analysen“ informiert umfassend über Struktur und Entwicklung des Krankenstandes in der deutschen Wirtschaft und einzelnen Branchen. Weitere Beiträge liefern fundierte Antworten, etwa zur Aussagekraft der Kennzahl „Fehlzeiten“, zur Bedeutung psychischer Erkrankungen für Beschäftigte und Betriebe, zum Arbeitsunfallgeschehen und zum Krankengeld.

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Analysen – Schwerpunkt: Covid-19

Wissenschaftskommunikation in der Pandemie - Qualität und Perspektiven

Georg Ruhrmann und Dominik Daube, Institut für Kommunikationswissenschaft, Jena

Die Covid-19-Pandemie beherrscht aktuell die Wissenschaftskommunikation. Quasi wie ein Röntgenstrahl durchleuchtet das Thema gesellschaftliche Prozesse. Und es wirft neue gesellschaftliche Fragen zu unserem Selbstverständnis und insbesondere zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft auf. Jetzt werden sie gestellt. Die Qualität von Wissenschaftskommunikation wird dabei zunehmend relevant. Über die formale und inhaltliche Güte hinaus nimmt Wissenschaftskommunikation auch in der Aufklärungsarbeit zu Falsch- und Desinformation, vor allem im Social Web, eine tragende Rolle ein.

Corona-Krise und öffentlicher Gesundheitsdienst

Josef Kuhn und Manfred Wildner, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim

Die Ursprünge des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) im 18. und 19. Jahrhundert waren vor allem Aufgaben der Abwehr von Gefahren, beispielsweise Seuchen. Im 20. Jahrhundert, mit dem Entstehen städtischer Gesundheitsämter, kamen zunehmend sozialmedizinische Fürsorgeaufgaben dazu. Durch die Beteiligung des ÖGD an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik war die Bevölkerungsmedizin nach 1945 in Deutschland zunächst diskreditiert und konnte erst unter dem Label Public Health in den 1980er-Jahren wieder an Boden gewinnen. Die Gesundheitsämter haben sich seitdem verstärkt um ein Profil über die tradierten Kontroll- und Überwachungsaufgaben hinaus bemüht, allerdings restringiert durch einen anhaltenden Personalabbau. Die Gesundheitsministerkonferenz hat die Reformansätze im ÖGD 2018 mit einem modernen Leitbild für den ÖGD unterstützt, auch die personelle Stärkung des ÖGD stand auf der Agenda. Durch die Corona-Krise ist einerseits die Stärkung des ÖGD politisch konsensfähig geworden, andererseits liegt der Akzent dabei primär auf dem Infektionsschutz. Für einen modernen ÖGD sollte der mit dem Leitbild 2018 eingeschlagene Weg weiterverfolgt werden.

Covid-19 in Gemeinschaftsunterkünften und Heimen - Strukturen, Probleme, Handlungsbedarfe

Verena Penning und Oliver Razum, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld

Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete sowie Alten- und Pflegeheime haben aufgrund ihrer räumlichen und sozialen Strukturen eine besondere Bedeutung für die Übertragung von Sars-CoV-2. Wir vergleichen diese beiden Settings bezüglich Wohnstrukturen, Handlungsempfehlungen und des Managements im Ausbruchsfall. In beiden Settings fehlt es sowohl an belastbaren Statistiken zum Infektionsgeschehen als auch an Evidenz zum optimalen Management von Covid-19. Hinsichtlich der Wohnstrukturen stellt die Situation von Geflüchteten eine besondere Herausforderung dar. Dennoch gelten in beiden Einrichtungsarten grundsätzlich ähnliche Handlungsempfehlungen zur Prävention und zum Management von Covid-19. Das verdeutlicht, dass eine settingübergreifende Kommunikation nötig wäre. Diese sollte auch weitere Arten von Gemeinschaftsunterkünften einbeziehen.